(Predigttext: 0fb 21,1-7)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Da steht sie am Grab ihres Mannes. So wie jeden Tag, immer zur Mittagsstunde. Sie steht da und blickt zwischen Grabstein und Himmel hin und her.
„Ach, ja, wenn du doch nur noch bei mir wärst. Es ist so schwer ohne dich. So gerne würde ich dir sagen, ... Da ist nur so wenig geblieben von uns.“
Zögerlich entfernt sie ein paar welke Blütenblätter.
Mit Tränen in den Augen blickt sie wieder zum Himmel und wieder zurück auf den Grabstein. Jeden Tag zur Mittagsstunde.
Die Sonne wärmt ihr Gesicht. Trocknet die Tränen.
Zwei Jahre ist es nun schon her. Ihr Leben. Ein Leben ohne ihn. Nur nicht jeden Tag zur Mittagsstunde, am Grab, mit Tränen in den Augen.
„Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“

Jedes Mal, wenn ich es aus meiner Tasche ziehe, denke ich an dich.
Du hast mir das damals in die Hand gedrückt, vor 21 Jahren, zu meiner Konfirmation mit den Worten: „Das hat mir meine Oma damals gegeben. Ich weiß gar nicht mehr, wie lange das her ist, zu meiner Konfirmation. Halte es in Ehren.“

Ich habe das damals gar nicht richtig verstanden, aber dir war das wichtig. Du wolltest mir etwas mitgeben. Etwas, das dazugehört. Etwas, das zu uns gehört, das uns verbindet.
Dein weißes Stofftaschentuch. Mit gehäkelter Spitze. Steif gestärkt. In der Ecke die beiden Buchstaben, schon etwas verblasst.
Seitdem ist dieses Taschentuch in meiner Tasche, wenn ich es brauche. Seitdem bist du da, wenn ich dich brauche. Bei deiner Beerdigung hatte ich es dabei. Es hat viele meiner Tränen aufgefangen, mein Gesicht immer wieder getrocknet.
Dein Taschentuch und meine Tränen sind verbunden. Jedes Mal, wenn ich es aus meiner Tasche ziehe, denke ich an dich.
„Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“

Ein leerer Papierkorb. Endlich ist er leer. Er quoll schon über von allem, was ich in den letzten Tagen loswerden wollte, loswerden musste. Es war so unendlich anstrengend, die alte Wohnung auszuräumen. So viele Erinnerungen. Aber auch so viel, was einfach über war, nicht mehr zu gebrauchen, eben ein Fall für den Papierkorb. So viel habe ich in die Hand genommen, überlegt, wieder zurückgelegt, Vieles dann doch weggeschmissen. Erleichterung.
Es ist gut so. Diese Zeit meines Lebens ist vorbei. Hinter mir gelassen. Vieles ein Fall für den Papierkorb. Nun ist mein Papierkorb leer.
Zeit für Neuanfang.
„Das Erste ist vergangen. Siehe, ich mache alles neu!“

Himmlisches Jerusalem, wo bist du?
Findet sie dich jeden Tag zur Mittagsstunde? Wenn die Sonne ihr Gesicht wärmt, ihre Tränen trocknet?
Liegst du in den Gedanken an dich, an unsere gemeinsame Zeit? In den Tränen, die dein Taschentuch aufgefangen hat?
Bist du der Neuanfang nach meinem leeren Papierkorb?
„Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen. Es ist geschehen.“

In all diesem liegt der zuversichtliche Blick nach vorne. Das Bewahren der Erinnerung, aber eben auch das Weitergehen.

Mein Lebensweg geht nach der Begegnung mit dem Tod weiter, muss weitergehen.
Da gehört jetzt Trauer dazu. Da gehört die Erfahrung, die Begegnung mit dem Tod dazu, aber ich muss meinen Weg weitergehen.

Das erfordert Mut. Den Mut, den nächsten Schritt zu gehen.

Mein Lebensweg wird nach der Begegnung mit dem Tod ein veränderter sein.

Keinen Tag verschenken, es kann der letzte sein. Jede ungelebte Stunde wirst du noch bereuen.

Nach diesem Grundsatz lebe ich.

Bleiben muss die Erinnerung. Der Verstorbene behält einen Platz in meinem Herzen. Dort, wo die Liebe und die Erinnerung, die mich mit ihm verbunden haben, ihren Ort haben.

Das ist am Anfang ein schmerzhafter Ort, zu dem viele Tränen gehören. Der See der Tränen, der am Anfang des Trauerweges in mir ist, gehört dazu.

Doch ich spüre auch, dass dieser See mit jeder Träne, die ich weinen kann, kleiner wird und dann eben Platz macht für diesen neuen Ort, an dem die Erinnerung und die Liebe immer Raum haben werden.

„Und Gott wird abwischen alle Tränen von unseren Augen.“
Gott selbst sorgt dafür, dass der See der Tränen in meinem Inneren immer kleiner wird und meine Augen sich neu öffnen können für meinen durch den Tod veränderten Weg.

Am Ende bleibt die Liebe.
Die Erinnerungen an den Verstorbenen sind zumeist liebevolle Erinnerungen.
Und: Die Liebe ist stärker als der Tod.
Die Liebe meiner Mitmenschen, die Gemeinschaft in der Familie trägt, wenn der Tod dazwischen kommt.
Gott trägt, wenn der Tod dazwischen kommt.
Ich bin nicht alleine.

Auch heute in diesem Gottesdienst ist das so.
Wir denken in Gemeinschaft an die Menschen, die wir gehen lassen mussten.
Dieses Miteinander tröstet.
Wir leben unseren Glauben in diesem Miteinander.

Und wir leben in der begründeten Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist.
Der Weg eines Menschen auf dieser Welt endet, aber sein Weg mit Gott geht weiter. Dieser Weg ist ein ewiger Weg.

„Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.“

Die Verbindung zwischen Gott und den Menschen, die uns hier so oft fehlt, die ist auf einmal da. Da ist keine Trennung mehr zwischen Gott und seinen Menschen, sondern er selbst wird bei ihnen wohnen.

Und dann ist wirklich alles gut. Dann gibt es kein Leiden und keine Schmerzen mehr.

Wenn ich mir das versuche vorzustellen, entsteht ein sehr tröstliches Bild.
Ein Ort, an dem ich mich auf ewig geborgen fühlen kann.

Von dem ich darauf vertraue, dass alle, die vor mir gehen mussten, dort sein werden.
Verbunden mit Gott und irgendwann auch wieder verbunden mit mir.

Aus dieser Hoffnung heraus, dass der Tod einmal nicht mehr sein wird, lebe ich.
Denn Gott hat versprochen, dass es so ist, und ich glaube ihm.
Nicht der Tod hat die Macht, sondern die begründete Hoffnung auf die Ewigkeit, die in der Liebe, die immer stärker sein wird als der Tod, schon begonnen hat.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.