(Predigttext: Jes 53,1-12)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Das Kreuz ist aufgerichtet. Die größte Herausforderung für uns alle. Wir haben das Kreuz vor Augen ganz bewusst. Und damit blicken wir auf das, was es bedeutet: Den Tod.

Jesus stirbt. Der gefeierte Retter der Welt hängt am Kreuz wie ein Verbrecher. Damit müssen wir uns auseinander setzen.

Heute am Karfreitag steht der Tod im Mittelpunkt. Der Tod begegnet uns mitten im Leben. Wir sind heute hier, weil wir uns damit auseinander setzen wollen. Verstehen wollen, was es heißt, dass Jesus für uns gestorben ist, dass der Tod zum Leben gehört und damit seine Schreckensmacht verloren hat.

In der letzten Woche ging es in der Zeitung auf einer gesamten Seite um den Tod. Folgendes war da zu lesen:

„Die meisten Menschen sterben heute im Krankenhaus, in Pflegeeinrichtungen und Altersheimen, von wo aus sie möglichst schnell und unauffällig vom Bestatter zum Friedhof oder gleich zum Krematorium gebracht werden. Zunehmend wird dann die Aschenurne zwei oder drei Wochen später anonym auf dem Friedhof beigesetzt. Doch weder die Eile bei der Abholung, noch der möglichst unauffällig Abtransport des Verstorbenen durch Nebeneingänge und Kellerräume dieser Einrichtungen sind vom Gesetzgeber so gewollt und entsprechen – genau betrachtet – auch kaum einem würdevollen Umgang mit dem Verstorbenen. Auch für viele von uns Lebenden ist die Vorstellung bzw. Aussicht auf einen derart „geräuschlosen“ eigenen Abgang von dieser Welt wenig erbaulich und wird die Angst vor dem schnellen Abgeschoben-Werden auf unserem Sterbebett kaum verringern können. Aber es geht auch anders. Vor allem brauchen wir nicht so überstürzt zu handeln. Bei einem Sterbefall zu Hause räumt uns der Gesetzgeber reichlich Zeit (36 Stunden) für das Abschiednehmen ein. Selbst wenn der Tod im Krankenhaus oder Pflegeheim eingetreten ist, können wir den Verstorbenen für einen persönlichen Abschied nach Hause holen. Ein aufgeschlossener Bestatter wird die Gegebenheiten vor Ort prüfen und ein solches Vorhaben mit Rat und Tat unterstützen.

Warum ein solcher Aufwand? Vor allem der plötzliche Tod eines nahen Angehörigen ist für uns zunächst einmal ein einschneidendes Erlebnis, das es zu begreifen gilt. Dafür brauchen wir Zeit und am besten gelingt uns dies über unsere Sinne. Indem wir uns behutsam – am besten mit Unterstützung von Verwandten oder Freunden – dem Verstorbenen nähern, ihn sehen, fühlen und seine physische Gegenwart wahrnehmen und auch aushalten müssen, werden wir langsam begreifen, dass er wirklich tot ist. Die Identität wird auf diese Weise hergestellt und jeder Zweifel ausgeräumt: Es ist die bittere Wahrheit, mit der wir uns nun auch gefühlsmäßig auseinandersetzen müssen. Dies gelingt uns am besten in den uns vertrauten privaten Räumen, denn diese Räume, die gut sind für die schönen Stunden, sind mindestens ebenso gut für die schweren Stunden unseres Lebens.“

(Seesener Beobachter vom 11.4.2013)

Ja, so gehen wir in aller Regel mit einem Todesfall um. Möglichst schnell soll es dann gehen. Beerdigung planen, regeln, was zu regeln ist. In Aktivität verfallen, um nicht damit konfrontiert zu werden, was hier eigentlich passiert ist. Dass da ein Mensch, der zu uns gehörte, verstorben ist. Ein Mensch, von dem ich mich nun verabschieden muss.

Wie ist das mit Abschieden im Leben?

Das kann doch gar nicht schnell gehen, fast so nebenbei. Das braucht vielmehr Zeit und Ruhe. Ich brauche die Zeit, um mich wirklich verabschieden zu können und der Mensch, der da gehen muss, hat diese Zeit des Abschieds verdient, denn da war ja so viel gemeinsame Zeit, die wir miteinander verbracht haben.

Und im Nachhinein merke ich, wie gut es doch tut, dass ich mir Abschiedszeit genommen habe. Dass ich nun freier Zurückdenken kann an das, was war, an die gemeinsame Zeit.

Der Tod ist eben immer eine Zumutung. Ein Unterbrechen des Gewohnten. Da müsste doch jetzt eigentlich die Zeit still stehen.

„Das Kreuz ist aufgerichtet. In der sengenden und stechenden Nachmittagssonne kämpft Jesus mit dem Tod. Insekten setzen sich in die Wunden, die von der Geißelung zurückgeblieben sind. Das Atmen ist ihm unerträglich schwer geworden. Wie er da hängt, kriegt er kaum noch Luft. Die jähe Panik, erbärmlich zu ersticken, dann wieder ein Aufbäumen des Körpers mit letzter Kraft. Jesus schreit, er brüllt vor Schmer und Verzweiflung. Er fühlt sich so entsetzlich allein. Seine Mutter, seine beste Freundin und sein bester Freund stehen unter seinem Kreuz. Sie leisten ihm buchstäblich letzten Beistand. Jesus spürt, es ist vorbei. Es ist Nachmittag gegen drei Uhr. Jesus sagt noch einen einzigen Satz: Es ist vollbracht. Dann fällt sein Körper in einem einzigen großen Krampf. Jesus ist tot.

Das höchste Fest der Juden, die Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, steht unmittelbar bevor. Maria, die Mutter Jesu, und einige seiner Freunde fassen sich ein Herz und bitten Pilatus darum, den toten Körper vom Kreuz abnehmen und begraben zu dürfen. Pilatus willigt ein. Josef von Arimathäa, ein jüdischer Ratsherr, der nur heimlich zu den Anhängern Jesu gehörte, bekennt sich nun offen zu ihm und erweist ihm einen letzten Dienst. Er nimmt ihn vom Kreuz und übergibt ihn Maria.

Jetzt sind sie wieder ganz allein. Römer und Juden sind nach Hause gegangen. Die wenigen Freunde Jesu, die bis zum Schluss ausgehalten haben, treten ehrfürchtig ins Dunkel zurück. Das ist die Stunde von Mutter und Sohn. Nur selten waren Maria und Jesus so innig beieinander wie an diesem Abend und während der bitteren Stunden dieses Tages. Jetzt breitet sich fast etwas wie Frieden aus auf dem Richtplatz. Auch Marias Verkrampfungen beginnen sich zu lösen. Noch sind die abscheulichen Bilder nicht erloschen. Aber Maria empfindet Erleichterung darüber, dass das Ganze nun endlich vorbei ist.

Der Tod war eine Erlösung. Aber die Erleichterung mischt sich mit der erschütternden Einsicht, ihr Kind nun auf immer verloren zu haben. Sie bleibt wie eine Waise zurück in dieser Welt. Nie, nie wieder wird es so, wie es einmal war. Auch ist alles so unwirklich. Fast erwartet Maria, dass Jesus im nächsten Moment wieder aufwacht wie aus einem tiefen, schrecklichen Schlaf und alles nur ein böser Traum war.

Erinnerungen bestürmen sie, aber warum ausgerechnet die Erinnerungen an seine ersten Gehversuche? Er hatte schnell weit zu gehen gelernt, selbstständig wie er nun einmal war. Er ging sehr weit, weiter als je einer gegangen war. Er ging bis zum Äußersten. Und sie hatte lernen müssen, ihn gehen zu lassen. Leicht war das nicht. Ganz wie in dieser Stunde. Wieder muss sie ihn gehen lassen, aber noch nie zuvor mit solcher Endgültigkeit. Tränen verschleiern ihren Blick. Maria weint.“

(Durchkreuztes Leben. Ein Kreuzweg mit Bildern von Sieger Köder)

Ein Bild der Trauer.

Trauer ist ein tiefer Ausdruck der Sehnsucht unserer Seele, ein zerstörtes Leben möge wieder ganz, seine Risse und Wunden geheilt werden, was getrennt wurde, wieder zusammengeführt und Totes lebendig.

Und die Trauer ist tatsächlich ein Weg, dem solche Kräfte innewohnen. Nur schreibt die Trauer alte Geschichten nicht einfach fort. Sie schlägt neue Kapitel auf. Es steckt immer Beides in ihr: Die Vergangenheit, der wir nachtrauern und die wir trauernd langsam loslassen lernen, aber eben auch die Zukunft, der wir etwas Neues zutrauen.

Die Trauer schafft mit der Zeit eine neue Qualität der Beziehung, in der wir lernen, den Verlust und den verlorenen Menschen neu in unserem Leben aufgehen zu lassen.

Die Trauer trägt die unzerstörbare Ahnung, das Vertrauen in sich, dass es wieder gut werden wird – anders, aber gut.

Grabesruhe auf Golgatha. Für Menschen ist jetzt Schluss. Aus. Ende. Nichts mehr zu machen. Der Tod ist die äußerste Grenze.

Aber Gott, der bis zum Äußersten gegangen ist, geht noch weiter.

Gott, der Herr, Vater und Mutter allen Lebens, ist stärker als der Tod.

Das alles erahnen wir im Kreuz.

Der Tod gehört zum Leben und der Tod trägt in sich die Verheißung des ewigen Lebens.

Gott selbst ist diesen Weg vom Tod zum Leben gegangen.

In den Räumen, die gut sind für die schönen Stunden des Lebens, können wir auch die schweren Stunden ertragen.

Auch dafür steht der Karfreitag – die würdige Feier der Todesstunde Jesu, auf die der Ostermorgen, das Licht der Auferstehung folgen wird.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.